Aspirin fürs Volk

2.2.2011

Vor einigen Tagen hat der ehemalige österreichische Finanzminister Karlheinz Grasser zugegeben, einen Gewinn nicht versteuert zu haben. Er hat Selbstanzeige erstattet und auch gleich die Rechnung beglichen. So weit, so rechtmäßig. Rechtsstaatlich, eben. Mit einer – noch so ein Unwort wie etwa Unschuldsvermutung – schiefen Optik, die sich gewaschen hat. Aber schiefe Optik, das ist etwas, das in Österreich noch niemals das Ergebnis eines Rücktritts oder sonstiger nachhaltiger Polit-Tektonik gezeitigt hätte.

Dieser Versuch, dieses „Man wird’s ja wohl probieren dürfen“, gepaart mit einem „Erwischt!“ und dem spitzbübischen Grinsen, so wie damals der Bub in der Zahnpastawerbung, ist eine Art österreichischer Krankheit. Von der Wirtschaft als „Feinkostladen Österreich“ apostrophiert, schlichten wir eher Waren in die Regale einer alpenländischen Schmähtandlerei, die an der bevorzugten Einkaufsstraße von Fremdenverkehr und Innenpolitik liegt.

Wohlgemerkt, Grasser ist keine Krankheit. Er ist ein Symptom. Ihm den Prozess zu machen und ihn, sollte sich seine Schuld erweisen, auch zu verurteilen, ist zwar richtig. Denn Österreich ist, wie gesagt, ein Rechtsstaat. Zur Heilung der dahinter liegenden Krankheit trägt dieses wie auch vergleichbare Verfahren allerdings nichts Wesentliches bei.

Es klärt nicht die Frage nach dem Nährboden, der die Tateinheit von persönlicher Bereicherung am öffentlichen Gut und gleichzeitigem Werfen von Nebelgranaten in Richtung ebenjener Öffentlichkeit hervorbringt.

Dass Schmieren und folglich auch Geschmiert-Werden in jedem bürokratischen System immanent verankert ist, das ist nichts Neues. Wollte man mit Antikorruptionsgesetzen das Schmieren abschaffen, müssten diese Gesetze eine Abschaffung der öffentlichen Verwaltung beinhalten. Was uns auch nicht recht wäre.

Geld in seiner Funktion des Opfers, das dargebracht wird, um Entscheidungsträger günstig zu stimmen, Abläufe zu beschleunigen, Türen zu öffnen, ist im Wesen jeder Kultur normal. Immerhin kann sich dieser Vorgang auf eine lange Tradition in allen wesentlichen Religionsrichtungen berufen. Jetzt Empörung zu heucheln und öffentlichkeitswirksam nach dem Riechfläschchen zu verlangen hat angesichts der Historie von Geben und Nehmen etwas Frivoles.

Dieser Kultur mit Gesetzen entgegen treten zu wollen, ist rührend. Das war’s dann aber auch schon. Denn Gesetze sind nicht imstande, Gerechtigkeit zu schaffen. Was sie können, das ist, den jeweils herrschenden Zeitgeist zu spiegeln. Dass sich dieser Geist ständig verändert, das ist gut so. Würden Grasser und seine Freunde als Nehmer im großen Stil angeklagt und verurteilt, dann würde voraussehbarer Weise öffentlich Genugtuung zelebriert. Diese Genugtuung ist nicht die Zufriedenheit über den gerechten Ausgang einer Straftat. Sie verströmt das Odium von Satisfaktion auf dem Fundament von Rache.

Genau diese Grundstimmung ist es, die das Zeitgeistbarometer anzeigt. Während die gesellschaftlichen Umbrüche von 1968 tendenziell intellektuelles Unterfutter hatten, das Wort „Gerechtigkeit“ auf dem Banner der Revolution trugen, läutete 1989 die Leitkultur der Rache ein. Medial veröffentlichte Hinrichtungen von Ceausescu bis Hussein, Aufrufe zu heiligen Kriegen gegen Terror, Vergeltungsdrohungen, ausgesprochen durch einen fundamentalreligiösen Warlord, der zufällig auch Präsident der einigen verbliebenen Supermacht der Welt war. So sieht Rache aus.

Hier geht es nicht um Gerechtigkeit. Hier werden Fackeln und Heugabeln zur Hand genommen. Blut muss fließen.

Dass diese Fackeln und Heugabeln die bevorzugten Argumente sind, mit denen in Österreich politischer Diskurs geführt wird, zeigt das Straßenbild in Vorwahlzeiten.

Den eigenen wirtschaftlichen und sozialen Abstieg – Ergebnis mangelhaften Schmähtandelns – gesühnt zu bekommen, indem einem der Kopf eines beliebigen Schuldigen auf dem silbernen Tablett serviert wird, ist der Stoff, in den sich politische Mehrheitsfähigkeit kleidet. Es ist angerichtet, bitte zu Tisch!

Eine eventuelle Verurteilung von KHG entspricht etwa der Gabe eines milden Schmerzmittels gegen syptomatische Beschwerden, quasi Aspirin fürs Volk. Das Äqivalent einer kleinen Rache also. Einem Racherl, das so tut, als wäre der Zustand ausgleichender Gerechtigkeit wieder hergestellt.

Ein besonders bei jungen Menschen ausgeprägter Sinn ist der für Gerechtigkeit. Gerechtigkeit von der Art des Regelwerks, das sie vom Fußballspiel kennen. Regeln, die dazu führen, dass das Revanchefoul härter bestraft wird als das Foul selbst. Für Gerechtigkeit ist der Schiedsrichter zuständig. Ein Revanchefoul ist Selbstjustiz. Ist Rache.

Während die Gerechtigkeit einen Vertrag voraussetzt, an den sich alle halten, während ihre Durchsetzung Erwägung braucht, Zeit und Gehirnschmalz, also insgesamt eine mühsame Sache sein kann, ist Rache vertragsloser Zustand im Schnellverfahren. Erst schießen, dann fragen.

Der amerikanische Psychologe Eric Berne, der vor einem halben Jahrhundert die Grundlagen der Transaktionsanalyse entworfen hat, skizziert in seinem Buch „Spiele der Erwachsenen“ soziale Abläufe, in denen Menschen mit ausgeprägtem Therapiebedarf aus ihrem psychischen Zustand Nutzen ziehen und ihn deshalb beibehalten wollen. Im Partyspiel „Schlemihl“ verstößt ein Mitglied einer Gruppe in immer stärkerem Maß fortlaufend gegen gesellschaftliche Konventionen. Für diese Verstöße entschuldigt sich der Spieler umgehend. In Österreich kann, wie wir aus der jüngeren Geschichte der Politkultur wissen, der Entschuldigung auch ein trotziges „Meinetwegen“ vorangestellt werden. Um nicht als Verlierer oder Kleingeist angesehen zu werden, wird diese Entschuldigung ausnahmslos akzeptiert. Mit der Folge, dass der nächste Verstoß noch eins draufsetzt.

So werden die Grenzen, die gesellschaftliche Konventionen setzen, aufgeweicht. Gewinner ist übrigens immer der Schlemihl. Jedenfalls, so lange man ihm die Möglichkeit einräumt, sich zu entschuldigen und ihm damit einen Persilschein in die Hand drückt.

Dass der triviale Mechanismus von Fehlverhalten und gerechtem Ausgleich in eine Schieflage von Schuld und Entschuldigung gekippt ist, ist nicht nur, aber auch eine österreichische Krankheit. Dass, wo keine Entschuldigung in Reichweite ist, der anständige und fleißige Absteiger nach Rache schreit, das auch.

So kreißt die Alpenrepublik und gebiert Schmähtandler.

Stefan Peters

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