Die Suffizienz des Winterschlafs – Hängematte rulez OK

Woher wissen wir, dass wir raus müssen? Was versäumen wir im Winterschlaf? Innehalten zwischen FOMO und Eisenhower-Matrix

Aus gegebenem Anlass

Aus gegebenem Anlass: Es ist dunkel, feucht, kalt und zugig. Ein meterologischer Aggregatzustand, der nur nach einem verlangt – Rückzug. Was wir verlernt haben, leider. Höchste Zeit, uns die Kulturtechnik des energieaufwandsminimierenden Innehaltens wieder anzueignen. Die Forderung von Wirtschaft, Bildung, Umfeld, G’hörtsich geht ja bekanntermaßen in die entgegengesetzte Richtung. Hüpfen im Quadrat bei jeder Witterung. Sehr ungesund, das.

Und wenn

Und wenn ich aus dem Fenster sehe, und es glänzt der Asphalt und der eiskalte Wind beutelt die letzten bunten Blätter von den Bäumen und der Himmel ist grau und sehr nahe und es ist kein Arbeitstag und alle notwendigen Vorräte sind im Haus. Dann muss ich sehr stark sein kurz einmal. Den gelernten Reflex aussitzen. Vom anlasslosen Innehalten war ja hier im Blog schon die Rede.

Bunte Herbstblätter in einem Bach
Die letzten bunten Blätter gehen den Bach hinunter

Heute geht’s einen Schritt weiter, darum nämlich, die Skripte auszuradieren von den Alten, die mich gelehrt haben, dass man sowieso und bei jeder Witterung so oft wie möglich raus muss, an die frische Luft. Man? War ich noch nie. Raus müssen, eine alte Forderung, vielleicht aus der Zeit, als die Stadt voller lichtlos-rachitischer Kinder war, oder einer anderen Zeit, als mit dem gesunden Körper ausschließlich ein zertifiziert arischer Körper gemeint war, der aus Nachzuchtgründen frischluftgestählt zu sein hatte. (Beide Zeiten, die der fensterlosen Wohnungen und die des totalitären Rassenwahns mögen gerne auf dem Komposthaufen der Geschichte verrotten.)

Aber jetzt

Aber jetzt habe ich den Reflex ausgesessen, das Skript des besinnungslosen Leistenmüssens ausradiert. Die Stimmen der Alten verhallen lassen. Eine Kanne Tee, eine Tasse Kaffee oder ein Glas Rotwein, ein Buch, eine flauschige Decke, all das in Griffweite um ein Sofa, ein Bett, eine Hängematte arrangiert, allein oder im Familien-, Haustier- oder Freundesrudel, je nach sozialer Kapazität. Mehr braucht’s nicht. Die Welt dreht sich ganz von allein, die Zeit fließt so oder so an uns vorbei. Vielleicht ersetze ich das Buch durch einen Podcast oder eine Hör-Meditation (ich finde da die App 7Mind recht gut).

Liegen lernen

Liegen lernen, Kostproben gepflegten Winterschlafs also, das braucht Zeit und Übung. Wenn ich mich an meine Studienzeit erinnere, eine Zeit des weitgehenden Freilaufs, da war die Grundregel, den Tag nicht schon vor dem Mittagsläuten anzugehen, relativ einfach einzuhalten. Schließlich waren die Nächte lang und lebensfroh. Heute ist das anders, nach zehntausenden säuberlich dokumentierten Arbeitsstunden und – was würde das Leugnen helfen? – einer Lebenszeit, die mehr Vergangenheit kennt als Zukunft. Also jedenfalls meiner. Wo die Anzahl der Dinge, die gefühlt noch schnell zu erledigen sind, sprunghaft ansteigt. Und damit meine Angst, irgendwas versäumen zu können. Dann, wenn ich die Hände in den Schoß lege.

FOMO

Fear Of Missing Out, ein Phänomen, das es immer schon gibt, aber in einer beschleunigten Welt einen Namen braucht. Die Angst also, etwas zu versäumen. Nicht dabei gewesen zu sein. Wie viele Termine nimmst du wahr? Ich meine, in deiner Freizeit. Wie oft liest du im Feed sozialer und anderer Medien von Veranstaltungen, auf denen du nicht warst? Wie oft erzählen dir Freund*innen von Konzerten, Ausstellungen, Lesungen, Parties, die du verpasst hast? Wie geht’s dir damit? Hast du überhaupt was verpasst? Woher kommt die Angst, etwas möglicherweise Wichtiges versäumt zu haben? Fragen über Fragen. Vielleicht war’s einfach wichtiger, eine Zeitlang nur dir selbst begegnet zu sein.

Was wichtig ist

„Was wichtig ist, ist selten dringend – und was dringend ist, ist selten wichtig.“ Dieser Satz wird dem früheren US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower zugeschrieben. Daraus leitet sich eine gleichnamige Matrix ab, ein zentrales Werkzeug, wenn es um die Suffizienz in der Verwendung von Zeit geht.

Wenn ich anstehende Aufgaben in dringend/nicht dringend und wichtig/nicht wichtig – jeweils aus meiner subjektiven Sicht – kategorisiere, bekomme ich einen Raster mit vier Feldern. Und dieser Raster hilft mir, zu entscheiden, was ich sofort erledige, was ich für später einplane, was lieber jemand anderer macht und schließlich, was die Welt nicht erledigt braucht.

Eisenhower-Matrix mit vier Feldern: Sofort erledigen, Terminieren, Delegieren, Nicht bearbeiten; KI-generierter Content
Die Eisenhower-Matrix auf einen Blick

Wenn du Lust hast, gewöhne dir an, diesen Raster über immer mehr deiner täglichen Aufgaben zu legen. Du wirst sehen, dass der vierte Sektor – weder dringend noch wichtig – einen weit überdimensionalen Teil einnimmt. Voilá, hier kommt die freie Zeit für deinen Winterschlaf. Wie und wo auch immer du ihn am liebsten verbringst. Ein Buchtipp dazu: Die Ermordung des Commendatore von Haruki Murakami. Es geht darin (auch) um den Umgang mit Zeit und der Muße, die es braucht, um sich zu entwickeln. Ich lese es gerade und lege es dir gern ans Herz. Für, oder vielmehr gegen  die kalten, grauen Tage.

Disclaimer: Ausgehende Links und Tipps sind subjektiv, ich bekomme dafür keinerlei Entgelt.

Hier geht’s zu Infos zu Stefan Peters

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