Suffizienz und Wohnen – Platz ist in der kleinsten Hütte

Wie viele Zimmer braucht deine Wohnung? Hast du eine Waschmaschine? Steht dein Haus in der Stadt, im Wald oder am Strand? Vom Wohnen auf großen und kleinen Füßen.

Für die Schwiegermutter putzen

Grundsätzlich sind wir als Menschen durchaus effizient agierende Wesen. Es steckt viel homo oeconomicus in uns. Und der sorgt dafür, dass wir unsere Energie so einsetzen, dass wir mit dem geringsten notwendigen Mittel das maximal sinnvolle Ergebnis erzielen. In Spanien gibt es das Sprichwort limpiar que ve la suegra – putzen, was die Schwiegermutter sieht. Soll heißen, dass wir, wenn Besuch dräut, mit minimalem Aufwand dafür sorgen, dass die Wohnung auf den ersten Blick halbwegs aufgeräumt wirkt. Im Alltagsgebrauch machen wir den Mund gerade so weit auf, dass wir hart an der Nuschelgrenze verständlich sind. Und wenn wir die Chance haben, Preise zu vergleichen, entscheiden wir uns fast immer für das Billigere. Wenn nichts anderes einen höheren immateriellen Gewinn verspricht.

Wild wuchernder Wohnraum

Die Geschichte der Vielzimmerwohnungen ist schnell erzählt. Historisch war es eine hauchdünne Schicht Herrschender, die Wohnsitze errichteten, in denen mehr Platz zur Verfügung stand als unbedingt nötig. Alle anderen mussten sich, wenn sie überhaupt ein Dach über dem Kopf hatten, mit einem Minimum bescheiden. Ein zentraler Raum für Mensch und Kleintier, dazu vielleicht eine Küche, ein zweiter Schlafraum und eine Werkstatt – Minimalismus als Normalität. In den vergangenen Jahrhunderten orientierte sich das aufkeimende Bürgertum an der raumgreifenden Wohnsituation des Adels, die Wohnungen wuchsen über alle Notwendigkeit hinaus. Nach den Weltkriegen ermöglichte das Wirtschaftswunder Vielraumwohnungen für weite Teile der Bevölkerung. Noch heute ist Österreich europäischer Spitzenreiter in der Bodenversiegelung, die sich vorzugsweise im ländlichen Raum in wild wuchernden Einfamilienhäusern auf der vormals grünen Wiese niederschlägt.

Mir reicht’s ja schon

Dagegen stehen Trends zu Kleinwohnungen, Wohnprojekten und Tiny Houses. Junge Menschen lernen heute in der schulischen Finanzbildung, dass sie für ihre erste Wohnung ungefähr zehntausend Euro als Startkapital aufbringen müssen, dazu kommen laufende Miet- und Unterhaltskosten. Viel Geld. Ich hätte es wahrscheinlich nicht gehabt damals, mit zwanzig, als ich meine erste eigene Wohnung bezog.

Günstiger wird die Sache natürlich, wenn die Wohnung so klein wie nötig ist und die Einrichtung aus zweiter Hand. Diese zwei Entscheidungen, die ich sehr bewusst treffen kann, setzen einige wesentliche Hebel der Suffizienz in Bewegung.

Meine eigene Wohnung beispielsweise hat gerade einmal vierundvierzig Quadratmeter, eine kleine Terrasse und Zugang zu einem Gemeinschaftsgarten. Sie liegt im Gründerzeitviertel eines – noch leistbaren – Wiener Außenbezirks, mit öffentlichen Verkehrsmitteln weniger als zehn Minuten von der Innenstadt entfernt. Mir reicht’s.

Der Gemeinschaftsgarten ist für alle da

Weil ich gerne viel freien Platz habe, stehen demensprechend wenige – meist günstig erworbene antiquarische – Möbelstücke drin. Dazu ein Schwedenofen, um nicht nur auf Gas als Energieträger angewiesen zu sein. Dementsprechend überschaubar sind meine laufenden Wohnkosten, und der einzige Raum, den ich mir manchmal zusätzlich wünsche, ist ein Home-Office-Kammerl. Was jetzt aber auch nicht so dringend ist, dass ich mir leidtun muss.

Ich weiß schon, es geht auch anders. Vor zwanzig Jahren wohnte ich auf einer Villenetage aus dem 19. Jahrhundert mit ein paar hundert Quadratmetern. Das war sehr stylish, sehr teuer und völlig unsinnig. Wenn es in meiner Wohnung zwei bis drei Zimmer gibt, die nie jemand betritt, dann halte ich eine Maschine am Laufen, die nutzlos Energie verbraucht. Weg damit!

Wohnen mit Zentrale

Eine berückende Idee, Ressourcen zu nutzen, sind Wohnprojekte. Wohnräume für Individuen, Nutzräume für die Gemeinschaft, so das Konzept. Mehrere Familien oder Einzelpersonen tun sich zusammen und errichten ein Mehrfamilienhaus, das Wirtschafts-, Hobby- und Lagerräume zur gemeinsamen Nutzung bereitstellt, dazu Gemeinschaftsgärten und -Heizanlage. Bei aller sozialer Unwägbarkeit sind solche Projekte meistens langfristig stabil, dazu ökonomisch und ökologisch ungemein effizient, gewissermaßen gebaute und gelebte Suffizienz. Was so modern klingt, ist nicht neu. Vor etwa hundert Jahren gab es bereits in Wien das Einküchenhaus, im sogenannten Heimhof an der Johnstraße. Das war ein ganzer Wohnblock, für dessen Bewohner*innen in einer einzigen zentralen Küche im Erdgeschoß gekocht wurde. Abgesehen davon hatte dieses Haus eine Zentralheizung, einen eigenen Kindergarten und eine zentrale Wäscherei. Was nicht nur eine effizientere Verwendung der nötigen Ressourcen mit sich brachte. Die Wohnungen konnten dementsprechend kleiner sein, ohne, dass etwas fehlte, und die Erwerbsquote der Bewohnerinnen stieg, weil für die Frauen traditionell an ihnen lastende Tätigkeiten delegiert waren.

Einer der heutigen Bewohner des Hofes, nennen wir ihn Karl, lebt hier seit über einem Vierteljahrhundert auf 34 Quadratmetern in eineinhalb Zimmern. Die Linde vor den vier Fenstern spendet Schatten und gute Luft. Für mehr Licht und Freiraum geht er auf die Dachterrasse, die er gemeinsam mit anderen Hausparteien in einen Obstgarten mit Ausicht verwandelt hat. Die Miete für die Gemeindewohnung ließe sich auch mit einer Mindestpension locker stemmen.

Der Obstgarten auf der Dachterrasse des Heimhofes, mit dabei der zuständige Bestäuber

Auch in der Wohnsiedlung, in der meine Frau wohnt, gibt es übrigens heute noch eine zentrale Waschküche. Ein Kostenvergleich zwischen der Benützung dieser Waschküche und einer eigenen Waschmaschine ergibt eine Amortisationszeit von etwa zwölf bis vierzehn Jahren. Ab da wäre die zentrale Waschküche teurer. Vorausgesetzt, die eigene Waschmaschine hält diese ganze Zeit wartungsfrei durch. Was sie erfahrungsgemäß eher nicht tut.

Vom Größten zum Kleinsten

In den letzten Dekaden poppt mit einer gewissen Regelmäßigkeit das Tiny House auf. Winzigste Wohneinheiten, die auf ein paar Quadratmetern alles Notwendige zum Leben bieten, aber keinen Deut mehr. Gerne kommen diese Mikro-Gesamtpakete auf Rädern oder sonstwie mobil daher. Damit sich die Menschen, die drin wohnen, jederzeit für einen anderen Ort, ein anderes Land entscheiden können, vorausgesetzt, es gibt dort ein Fleckchen Grund und Boden, auf dem sie wohlgelitten sind. In der Stadt, im Wald, am Strand; viel Platz braucht es nicht. Tiny houses sind damit ein – durchaus hochpreisiges – Bindeglied zwischen Wohnwagen und Einfamilienhaus. Durch ihren geringen Bodenverbrauch erfüllen sie natürlich das Versprechen suffizienter Lebensweise. Wie sozial fortgeschritten Menschen sein müssen, die in so einem Raum auf Dauer friedlich koexistieren können, das steht auf einem anderen Blatt.

In Kellern und Dachböden

Hast du einen Keller zur Verfügung, einen Dachboden? Wenn du dich dort umschaust, was siehst du? Viel freie Fläche? Oder eher eine Endlagerstätte für Gerümpel, wo jemand behauptet hat (du selbst?), es sei zu schade für den Sperrmüll? Nicht umsonst ist die Gebrauchtwaren-Verkaufsplattform Willhaben beständig unter den fünf österreichischen Top-Websites (dass dort auch Jobs und Immobilien gehandelt werden, sei der Vollständigkeit halber erwähnt). Suffizienz, das heißt auch in dem Fall, lass los, wirf Ballast ab! Dinge, die seit ein paar Jahren niemand angerührt hat, sind Ballast. Haben bei dir nichts verloren. Übergib sie dem Strom der Weltläufe, verkaufe oder verschenke sie, wirf sie erst dann weg, wenn sich zeigt, dass sie auch für alle anderen nutzlos sind. Auf die Weise stiftest du nachhaltig Nutzen, gewinnst Geld für Dinge, die du wirklich brauchst und zauberst dereinst ein dankbares Leuchten in die Augen deiner Erben, wenn sie draufkommen, dass es kein Gerümpel zu räumen gibt.

Hier geht’s zu Infos zu Stefan Peters

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