Suffizienz und nachhaltige Ernährung

Kommt der Fisch zu Fuß? Was geht mich der Schokobauer an? Wie hat Ernährung mit Augenmaß und Auswirkung zu tun? Wann hatten wir zuletzt Hunger? Vom Nachwachsen und den schwächsten Gliedern der Lieferkette.

Es sind gute Jahre

Wir sind – wenigstens hier in unserer Kapitalismuswirtschaft – mit Lebensmitteln überversorgt wie noch nie in der Geschichte. Wenn’s ums Futter geht, dann geht so ziemlich alles. Aus aller Welt, für alle Geschmäcker und Überzeugungen, zu (fast) allen Zeiten, um jeden Preis. So gesehen, ist ja alles gut. Der Vater einer Freundin sagte einmal: „Wer heute kein Bäuchlein hat, ist selber schuld. Denn es sind gute Jahre.“ Für wen die Jahre gut waren, das sagte er nicht dazu. Und was er schon gar nicht dazu sagte, war eine Antwort auf die Frage nach der Notwendigkeit des Bäuchleins. Nein, das wird jetzt keine Eloge in Sachen Bodyshaming. Mir geht es um die Frage, wen das, was uns satt macht, noch satt macht. Was können wir tun, um mit unserer Entscheidung im Supermarkt einen möglichst nachhaltigen Nutzen entlang der Wertschöpfungskette zu stiften?

Schoko für die Götter

Kaum ein Lebensmittel ist mehrheitsfähiger als Schokolade. Als Tafel, Getränk, Sauce oder sonstwie verarbeitet, versüßt sie uns das Leben, macht glücklich, wach und unrettbar süchtig danach. Weiß, hell, dunkel, mit Zucker, Chili oder Marzipanfülle besetzt sie in unseren Supermärkten dutzende Regalmeter. Sie macht uns satt und ihre Produzenten noch satter. Wen sie meistens nicht satt macht, das sind diejenigen, die am anderen Ende der Produktionskette stehen. Es sind Menschen in den ärmsten Länderen der Welt, die den Rohstoff, den Kakao anbauen. Die für ihre Ware bekommen, was ein paar wenige internationale Konzerne zu zahlen bereit sind. Nicht viel, klar, der Markt will es so. Die Kakaobauern müssen verkaufen, was da ist. Das führt zur absurden Situation, dass es in großen Anbaugebieten keine Schokolade zu kaufen gibt. Weil alles in den Export geht. Als ich vor zehn Jahren für Dreharbeiten in die Dominikanische Republik einreiste, legte ich, wie mir geraten worden war, zwei Tafeln Schokolade in meinen Reisepass. Der Zöllner nahm die Schoko und winkte mich durch.

Zu Zeiten der alten Olmeken war Kakao ein Lebensmittel, das als Opfergabe den Göttern vorbehalten war, selten auch den Hohepriestern und der Königsklasse. Die Götter, das sind wohl heute wir. Wobei unsere Göttlichkeit auf unserer Fähigkeit fußt, den Marktpreis zu bezahlen. Das Volk der Anbaugebiete geht damals wie heute leer aus.

Rohe Kakaobohnen aus Kuba
So sehen geröstete Kakaobohnen aus – schwer zu bekommen, in dem Fall aus Kuba

Wenn du das nächste Mal vor dem Schokoregal stehst, stell dir doch einmal die Frage, wie viel Schokolade du brauchst, um davon glücklich zu werden, und gleichzeitig jemand anderen tief drinnen im tropischen Regenwald in Würde leben zu lassen. Das geht. Kostet mehr als der Shrinkflation-Riegel mit der lila Kuh drauf. Weil ich ja ohnehin kein Geld dafür kriege, kann ich an der Stelle ruhig ein bisschen Werbung für den Josef Zotter und seine Schokoladen aus der Steiermark machen. Der Zotter nämlich checkt das mit den Kakaobohnen direkt mit seinen Bauern, zahlt ordentliche Preise – und gibt sie an uns weiter. Die Schoko nämlich, und auch den Preis. Probier’s doch einmal mit einer kleinen Tafel hochprozentigen Stoffs, so ab siebzig Teilen Kakao auf hundert. Nimm dir Zeit, nimm ein paar kleine Stücke und lass sie unter der Zunge zergehen. Lass die Glückshormone einschießen und stell dir vor, unter dem dämmrigen Blätterdach eines Tropenwaldes den Baum zu entdecken, der deine Kakaobohnen getragen hat. Das kostet insgesamt nicht mehr als ein, zwei Tafeln Industrieschokolade. Ist aber nachhaltiger und, wegen der Konzentration auf das Wesentliche, natürlich suffizient.

Buy local!

Iss, wo der Fisch zuhause ist! – das war viele Jahre lang der Slogan einer Fischimbiss- und Restaurantkette. Ja, wo ist er denn zuhause, der Fisch? In meiner Kindheit gab es einen großen Supermarkt, die hatten – für die Siebziger sensationell – eine Fischtheke. Wo mir auf Eis gebettet und genau auf meiner kindlichen Augenhöhe einige Zeitlang ein Haifischkopf entgegenstarrte. Quasi Haus des Meeres für Morbide. Der Kopf – und was sonst noch zum Haifisch gehört – war woanders zuhause. Nicht hier.

Diesen Sommer war ich in einer Fischselcherei in Ramsau am Dachstein. Die vakuumierten Filets der Fische aus den benachbarten Teichen waren nicht nur köstlich. Sie waren außerdem preislich vergleichbar mit Supermarktware. Kein Haikopf, kein Exotikfaktor, im Gegenteil. Seibling, Forelle. Mehr stand nicht zur Auswahl. Es war ein Lernprozess, schließlich bin ich Supermarktregale gewohnt, in denen von jeder Warengruppe dutzende Varianten zur Wahl stehen. Wozu? Weiß kein Mensch. Suffizienz und Nachhaltigkeit, das heißt auch hier, den Weg zurück zu gehen, zum Ursprung der Produktion, und zur Frage, wie wenig immer noch locker genug ist.

Kooperationen für mehr Nachhaltigkeit

Die direkte Brücke von Produktion zum Konsum schlagen seit längerer Zeit sogenannte foodcoops. Bei der ersten ihrer Art in Wien, der vor fast zwanzig Jahren gegründeten bioparadeis, war ich bis zu einem Umzug Mitglied. Foodcoops sind genossenschaftliche Vereine, die gemeinsam direkt bei landwirtschaftlichen Bio-Produktionsbetrieben einkaufen.

Ein Regal in einer foodcoop mit Heilkräutern und anderen Lebensmitteln
Genossenschaftliches Einkaufen ist auch eine Frage des Vertrauens

Die Bäuerinnen und Bauern liefern zuvor bestellte Ware in großen Säcken oder anderen Gebinden in die Lager der foodcoops. Dort füllen die Mitglieder zum Einkaufspreis beispielsweise drei Kilo Weizen in mitgebrachte Tupperschachteln und bezahlen nach dem Vertrauensprinzip. Abgesehen vom Nutzen minimierter Verpackung kriegen die Vereinsmitglieder wertvolle Lebensmittel und die Erzeuger einen fairen Preis, bei dem nicht zig Zwischenhändler die Hand aufhalten.

Einmal kam ich zufällig zu einer Zeit in den Lagerraum, als davor auf der Straße ein Kombi mit griechischem Kennzeichen parkte. Ein Olivenölproduzent aus Patras machte gerade seine Liefertour durch Österreich, der Wagen war mit Fünfliterkanistern vollgeschlichtet. Ich bekam diesmal nicht nur hocharomatisches Öl, sondern auch die Backstory aus der Produktion.

Bobozeugs, das alles? Ja, wahrscheinlich. Und dazu eine Möglichkeit, auch mit knappem Budget und ein bisschen Vorausplanung hochwertige Lebensmittel zu bekommen, mit denen ich sorgsam und bedacht umgehe. Weil ich weiß, wo sie herkommen. Weil ich weiß, welche Arbeit und welches Engagement dahintersteht. Weil ich weiß, dass ich diese Dinge sparsam verwende.

Darf’s ein bisserl weniger sein?

Suffizienz beginnt, wenn es um Nachhaltigkeit geht, in dem Moment, in dem ich bei meinen Kaufentscheidungen die Frage nach Augenmaß und Auswirkung stelle. Wie wenig braucht es, um meinen Hunger zu stillen und dabei gute und gesunde Lebensmittel zu genießen? Welche Auswirkungen hat meine Kaufentscheidung entlang der Lieferkette? Wenn ich Teil einer nachhaltigen, also auf Dauer funktionierenden Partnerschaft von Produzent_in und Konsument_in bin, befreie ich mich nicht nur von einer Menge Verpackungsmüll, sondern gewinne ein sinnliches Verständnis von dem, was meinen Körper – und Geist – am Laufen hält. Das finde ich ziemlich sexy.

Hier geht’s zu Infos zu Stefan Peters

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