Wieviel Style braucht dein Life? Wo hören die Grundbedürfnisse auf, wo beginnt der Luxus, und: ist da was dazwischen? Von Pyramiden, Hamstern, Preppern und der Relevanz des Nutzlosen.
Essen, Schlafen, Sex – und noch etwas
Einmal ganz grundsätzlich: Wenn du ein eigenes Haus oder eine Wohnung mit mitteleuropäischem Komfort zur Verfügung hast, dann gehörst du auf dieser Welt zu einer sehr kleinen, sehr elitären Schicht. Die meisten Menschen können von Privatsphäre, Heizung, Lüftung, fließendem Warmwasser, Innentoilette und stabiler Stromversorgung nur träumen.
Der US-amerikanische Psychologe Abraham Maslow schichtete in den 1940er Jahren eine Bedürfnispyramide auf. Diese Pyramide setzt auf eine Basis physiologischer Grundbedürfnisse – Essen, Trinken, Schlafen, Sex – als Nächstes unser Bedürfnis nach Sicherheit.
Sicherheit, das heißt, ein Dach über dem Kopf, Arbeit, ein Leben frei von physischer oder psychischer Bedrohung. Wenn diese Bedürfnisse befriedigt sind, wenden wir uns sozialen Beziehungen, dann Anerkennung und schließlich der Selbstverwirklichung zu. Diese Bausteine, die unser Denken und Handeln steuern, geben bei aller Grobheit in der Struktur eine Idee für unsere Motivationslage in diesem Leben.
Motivation, soll heißen, was treibt uns an, wer treibt uns an? Welche Ziele gilt es für uns zu erreichen, welche Wege dorthin zu beschreiten?
Im Lifestyle-Ressort von Hochglanzmagazinen dreht sich alles so gut wie ausschließlich um Dinge, die wir nicht benötigen, um zu überleben. Es geht um Mode, Haute Cuisine, Reisen, große Autos und kleine Hunde, kurz, um knappe Güter, die aufgrund ihrer Knappheit umso gefragter sind. Wobei die Knappheit auch durch die Unsummen ausgedrückt werden kann, die es braucht, um Anzug, Auster und Arktisurlaub zu bezahlen. Was auch immer es ist, mit dem wir unseren einzigartigen Status demonstrieren: es braucht ein kraftvolles Vehikel, und das ist Geld.
Freiheit oder Klopapier?
Ein suffizienter Lebensstil geht andere Wege. Er stellt jeden Tag dieselbe Frage: Wovon werde ich mich heute befreien? Oder anders gesagt: Welchen Ballast kann ich am Wegesrand meiner Lebensreise zurücklassen? In einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der wir heute leben, ist es beinahe unnötig geworden, Vorräte anzulegen. So gut wie alles, was für unser Leben notwendig ist, können wir jeden Tag neu kaufen.
Erinnerst du dich noch an die bizarren Klopapier-Hamsterkäufe der ersten Corona-Welle im Jahr 2020? Menschen, die erwachsen und wahlberechtigt waren, erkämpften in den Supermärkten Klopapiervorräte für etliche Jahre und schleppten sie in den Bau. Die Folge war selbstverständlich, dass es nach ein paar Tagen nirgendwo mehr Klopapier zu kaufen gab.

Was die Hamster dazu bewog, sich ungeheuer schlau und vorausschauend zu fühlen. Dass erst die absurden Panikkäufe zu den leeren Regalen führten, das wollte ihnen nicht so recht in den Kopf. Wie dem Klopapier ging es übrigens auch Reis und Nudeln aus konventionellem Anbau. Es war eine der seltenen Gelegenheiten, vor Supermarktregalen zu stehen, in denen es nur (noch) Bio-Pasta gab.
Wir sind die Hamster
Die schlechte Nachricht ist: so sind wir. Alle. Wir sind die Hamster, die unsere Backen mit dem füllen, was eventuell irgendwann einmal knapp werden könnte. Als vor vielen Jahren mein Großvater starb und wir seine Wohnung räumten, öffnete ich in der Küche eine Lade und fand dort mindestens hundert originalverpackte Wettex-Tücher. Ich begriff nicht einmal ansatzweise, welchen Zweck diese Sammlung haben sollte. Der Großvater hatte bis zuletzt alle Tassen im Schrank gehabt und war auch sonst verhaltensunauffällig gewesen. Nachdem ich mich ein bisschen gewundert hatte, warf ich alles weg.
Allzeit bereit
Warum wir das tun? Warum räumen wir unseren Lebensraum mit Dingen voll, die wir nicht jetzt und wahrscheinlich auch später nicht brauchen? Da liegen einige Antworten auf der Hand. Zum Beispiel Vorsorge. Zum Beispiel horror vacui. Zum Beispiel die anderen.
Okay, der Reihe nach. Als im Jahr 1986 der Atomreaktor von Tschernobyl in die Luft flog und halb Europa verstrahlte, affichierte ein paar Tage, nachdem das Ausmaß der Katastrophe klar war, eine Supermarktkette Plakate in ihren Auslagenscheiben. Diese Plakate listeten Artikel auf, die man in ausreichender Menge zuhause lagern möge, um für den nächsten Super-GAU vorbereitet zu sein. Ähnliche Listen gibt es von staatlicher Seite. Auf denen stehen Dinge wie Wasser, Batterieradio, Kerzen und andere Sachen, die auch dann noch funktionieren, wenn sonst nichts mehr geht.
Das alles und noch viel mehr finden wir in Prepper-Haushalten. Prepper, das sind Leute, die viel Zeit, Geld und Mühe darauf verwenden, sich auf Katastrophenszenarien vorzubereiten. Das fängt an mit einem Keller voller Konservendosen und endet mit einem Privatbunker, der seinen Besitzer durch eine atomare Eiszeit bringt. Der Ausdruck kommt aus dem englischen to prepare, sich vorbereiten. Wer sich genauer ansehen will, wohin letzteres führen kann: Hier zwei Filmtipps. Eve und der letzte Gentleman, eine schein-apokalyptische RomCom von Hugh Wilson, und Underground, eine jugoslawische Politgroteske von Emir Kusturica. Und, weil ich schon bei der künstlerischen Aufarbeitung des Preppertums bin, ein Buchtipp: Unternehmen Stunde Null des österreichischen Autors Gerhard Steinhäuser. Ich hab’s als Jugendlicher gelesen, und das ist, schätze ich, ein Teil der Erklärung dafür, dass ich auf Prepperzeugs stehe. Soll heißen, ich besitze nicht nur Primuskocher, Wasserfilter und Solarpanel, sondern auch die dazu passende Ausrede, nämlich Camping. Davon wird noch die Rede sein. Außerdem, noch so eine Ausrede, war ich als Kind einige Jahre lang bei den Pfadfindern. Wo’s auch heißt: Allzeit bereit.
Hirn und Solidarität bunkern
Fix ist bei all den Sachen, die auf diversen Prepper- und anderen Listen stehen, eins. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist all das Zeugs nutzlos. Es steht uns im Weg herum, verbraucht bezahlten Speicherplatz, läuft irgendwann ab. Dann schmeißen wir’s weg. Und kaufen Nachschub. Für den Fall, dass. Der wahrscheinlich nie eintritt. Und wenn doch, werden wir in allerkürzester Zeit bemerken, dass es klüger gewesen wäre, wenn wir statt dreißig Gläsern Perlzwiebel lieber ein paar Extraportionen Hirn und Solidarität gebunkert hätten, beide im Übrigen ohne Verfallsdatum.
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