Suffizienz und Konsum – Bücher

Was macht die Schriftkultur mit uns? Wie symbolisch ist ein Buch? Wofür lassen wir Bäume fällen? Von Wissenssammlungen, papierenen Streichelzoos und gedruckter Deko.

Magische Objekte im Regal

Unter den Dingen, die ich immer noch in großer Zahl um mich schare, sind Bücher. Das wird, schätze ich, auch so bleiben. Denn, ich geb’s zu: Ich liebe Bücher! Wenn ich einen Blick auf die Regale in meiner Wohnung werfe, erblicke ich magische Objekte, die von Abenteuern erzählen oder davon, wie ich gelernt habe, die Welt ganz anders zu sehen als zuvor. Romane sind’s, Bildbände und Sachbücher, die handgeschriebenen Kochbücher meiner Omama, Kalender und Notizbücher.

Mehrbändige Erstausgaben, die ich in ganz Europa zusammengesucht habe, geben mir das Gefühl, einen besonderen Schatz zu besitzen, ein Füllhorn an Zeit- und Weltwissen. Wenn ich daran denke, sehe ich mich in einem Sesselkreis sitzend. Und ich sage: „Mein Name ist Stefan und ich bin Büchersammler.“ Und alle anderen sagen: „Hallo, Stefan!“ Nein, clean werde ich wohl niemals sein, was das betrifft. Aber wenigstens bin ich schon jetzt ein bisschen trockener als zuvor.

Wahrheit und Schwurbelsprech

Wir leben, so wie die meisten Menschen weltweit, in einer Schriftkultur. Soll heißen, wir haben in unserer Erziehung gelernt, dass sich im geschriebenen Wort eine Art von Wahrheit niederschlägt. So verstehen wir, wenn in einem politischen TV-Duell einer der Kontrahenten ein Buch aufschlägt oder eine beschriebene Tafel zückt, dass jetzt endlich Zahlen, Daten, Fakten kommen. Ein Reflex ist es, der uns umso verstörter zurücklässt, wenn sich das geschriebene Wort als ein Löffel stinkender Trollsuppe in den sozialen Medien zeigt. Die Annahme, es mit der Annäherung an eine Wahrheit oder wenigstens mit einer sauber begründeten und mit wachem Geist entwickelten Meinung zu tun zu haben, stürzt uns in eine kognitive Dissonanz, wenn uns ein hauptberufliches Opfer mit weltverschwörerischem Schwurbelsprech die Ohren vollblökt. Papier war noch nie auch nur annähernd so geduldig wie die Timelines von Facebook, X und Co. Dass der Spruch Lügen wie gedruckt keine Möglichkeit, sondern eine Wahrscheinlichkeit bezeichnen könnte, daran werden wir uns auch noch gewöhnen.

Herdentrieb

Zurück zu den Büchern. Langtext also. Zurück in den Sesselkreis der Anonymen Büchersammler*innen. Erster Schritt: die Sucht eingestehen. Na gut, was hilft’s, wenn nicht? Worauf ich schon als Jugendlicher hineingekippt bin, das ist das Buch als optisches und kinästhetisches Gesamtmeisterwerk, das Bücherbrett im Kinderzimmer als papierener Streichelzoo.

Das Bild zeigt die Nahaufnahme einer Seite aus dem Buch "Erstbezug" von Stefan Peters
Schauen, riechen, fühlen – ein Gesamtmeisterwerk für alle Sinne

Ach ja, und die Akustik: es hört sich beim Blättern ziemlich gut an, das auch noch. Dazu ein Freundeskreis, in dem ständig über Bücher gesprochen wurde, wo wandfüllende Bücherregale die Wohnungen dominierten. Wo ein Bücher-Tauschkarussell rasend rotierte. Die Bücher waren, ich gestehe es ungern, nicht zuletzt Statussymbole, Distinktionsmerkmale des Klugscheißens. Und außerdem – noch eins drauf – waren sie Raumschmuck, Nippes für Intellektuelle. Irgendwann hatte ich so um die tausendfünfhundert Bücher daheim stehen. Die meisten davon gelesen. Mein Studium dauerte ziemlich lange, die Vorlesungen begannen meist erst nachmittags. Da war ausreichend Zeit für durchgelesene Nächte.

Bücher und Weltsicht

Bücher sind ja jetzt mehr als nur Wissensspeicher oder Abenteuer im Kopf, letzteres ein Werbespruch der Buchhändler in den Neunzigern. Sie sind überdies der Fallout eines gutbürgerlichen Bildungskanons. Wenn ich einen Menschen erstmals in seiner Wohnung besuche und dort Bücherregale vorfinde, dann kann ich nicht anders. Dann muss ich mir ansehen, was dieser Mensch liest. Und dementsprechend glaube ich daraus ableiten zu können, welcher Weltgeist in diesem Haushalt herrscht. Worüber ich mit der Besitzerin, dem Besitzer der Bücher reden kann und worüber wir besser schweigen sollten. Ich glaube auf die Art, die kulturelle, politische, emotionale Heimat meines Gastgebers halbwegs genau verorten zu können. Keine Ahnung, ob ich damit richtig liege. Ganz falsch war’s jedenfalls bisher noch nicht.

Im Unbewussten nehme ich ja an, dass Büchermenschen gute Menschen sind. Also wenigstens keine Krieger oder Diktatoren. Vor vielen Jahren habe ich einige dieser Büchermenschen in Schwarzweiß-Photos porträtiert. Die Idee war, ins Bild zu bekommen, was der Umgang mit Büchern mit einem macht. Die meisten der Abgebildeten waren Buchhändler*innen, der Kauzigkeitsindex erreichte lichte Höhen. Aus dem ursprünglich geplanten Bildband wurde aufgrund meiner Lahmarschigkeit nichts, die Bilder gilben noch heute in einem Karton vor sich hin.

Der Bestand an Büchern aber, meiner nämlich, ist radikal geschrumpft. Heute halte ich nach einigen Umzügen und Zurücklassungen bei etlichen hundert Büchern. Und einem E-Book.

Elektrobuch oder Die Bibliothek to go

Das ist jetzt so eine Art glücklicher Sündenfall. Sündenfall, weil ich mich lange erfolgreich dagegen gewehrt habe. Weil Bücher sexy sind und bunt und, wie gesagt, Gesamtmeisterwerk. Weil sie so riechen, wie sie alt sind und ich darin einfach vor und zurückblättern kann. Weil sie keinen Strom brauchen und ich sie herschenken und widmen lassen kann.

Das Bild zeigt einen Ausschnitt eines E-Books
Das E-Book – eine Bibliothek to go

Dann aber das E-Book, unausweichlich. Irgendwann war ich fällig, überzeugt von den Argumenten lieber Menschen um mich herum. Besorgte mir selbst eins von der Sorte, die plattformoffen alle gängigen Formate darstellen kann. Seitdem trage ich es ständig mit mir, und es ist ein großes Glück. Weil ich ein Buch mit über tausend Seiten nicht in der Tasche herumschleppe. Weil ich in der U-Bahn auf kleinstem Raum die Welt ausblenden kann. Weil ich an einem Sommerabend zwischen zwei Bäumen in der Hängematte liegend kein zusätzliches Licht zum Lesen brauche. Weil ich in der Bibliothek online Bücher ausleihe, aufs E-Book lade und dann zwei Wochen lang gemütlich Zeit zum Lesen habe. Ein Sündenfall, mag sein. Doch einer, der mein Leben unheimlich erleichtert.

Die Versuchung nebenan

In meiner Gasse haben ein paar junge Leute ein Souterrainlokal gemietet, in dem sie eine Art Mischung aus Buchantiquariat, Lesungslocation und Treffpunkt für leidenschaftliche Weltneuerfinder eingerichtet haben. Was genau die Idee dahinter ist, und ob ein Geschäftsmodell angedacht wird, das habe ich noch nicht herausgefunden. Fix ist, dass ich jedes Mal, wenn ich als Gastgeschenk einen Sixpack Bier vorbeibringe, hinterher bereichert bin, und gefährdet. Weil viele Bücher. Die mir dort zuflüstern, dass sie zu mir wollen. Gut, eins davon steht jetzt in meiner Wohnung. Ein schmales Bändchen, immerhin, ein fremdsprachiger Comicband, der mir das Spanisch-Lernen erleichtern soll. Doch gemessen am Grad der Versuchung bleibe ich damit suffizienzmäßig im grünen Bereich.

Es ist spät geworden. Ich werde jetzt mit dem E-Book in die Hängematte gehen.

Hier geht’s zu Infos zu Stefan Peters

Startseite » Suffizienz und Konsum – Bücher
Teilen

Schreibe einen Kommentar