Warum kann unser Hirn kein Nichts? Woher kommt die Idee der Suffizienz? Was haben die Grenzen des Wachstums mit einem Doughnut zu tun? Und was machen vier Enten im Dunkel?
Gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen!
Suffizienz in a nutshell: Der deutsche Soziologe und Theologe Wolfgang Sachs spricht in dem Zusammenhang von Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung und Entrümpelung. Was die Sache zwar thematisch auf den Punkt bringt – oder genau genommen auf vier Punkte. Aber. Da wäre der unselige Präfix, das Ent. Unser Gehirn ist wahnsinnig schlecht dafür geeignet, an etwas zu denken, das nicht da ist.

Die Enten-Viererbande
Weil es ausschließlich in Bildern denkt, Bilder braucht, um zu be-greifen. Kein Bild – kein Gedanke, um es auf eine einfache Formel zu bringen. Und umgekehrt. Beschleunigung, Verflechtung, Kommerzialisierung und Gerümpel: das können wir uns ganz leicht vorstellen. Dazu haben wir sehr schnell Bilder im Kopf. Aber das Gegenteil von alledem? Was sollen wir sehen, wenn da nix ist, eine schwarzgefiederte Enten-Viererbande in einem nächtlichen Teich? Über dieses schwer Greifbare hinaus enthält dieses Definitionsquartett etwas wirklich Verhängnisvolles, die Drohung nämlich, dass uns jemand etwas wegnehmen will. Wenn man dir gibt, so nimm, heißt es. Und weiter: Wenn man dir nimmt, so schrei! Also schreien wir. Leicht, allzuleicht könnte es geschehen, dass wir vor dieser Quadrupeldrohung je nach persönlicher Verfasstheit entweder in die Knie oder aber in Saft gehen. Beides, Kapitulation wie Wutanfall ist vor allem eins, nämlich kindisch. Damit halten wir uns nicht auf. Drehen wir die Sache lieber um.
What you see is what you get
Wenn beispielsweise Entschleunigung so aussieht, dass ich mit Tempo hundert auf der Autobahn sicherer, umweltfreundlicher, entspannter und billiger zum Ziel komme, dann gewinnt Suffizienz schon einmal an Kontur. Das können wir sehen, da wird aus einer Drohung ein Versprechen.
Bei Entflechtung wird die Sache schon ein bisschen komplexer. Und Komplexität ist ein mühseliges Geschäft. Mächtig viele Ecken und Enden, die da mitspielen, und das alles noch dazu gleichzeitig. Stell dir einfach vor, du müsstest einen alten Obstbaum zurückschneiden. Greif zu Schere und Säge und nimm alles heraus, was kreuzt, behindert oder sonstwie überflüssig ist. Wenn du, wie man am Land sagt, deinen Hut durch die Krone werfen kannst, ist das Werk der Befreiung getan. Setz den Hut wieder auf und geh was trinken.
Entkommerzialisierung ist das Einfachste auf der Welt. Mach dich auf und geh eine Einkaufsstraße entlang. Sieh nach links und rechts und denk dir ungefähr Folgendes: Danke, ich habe alles, was ich brauche. Dann geh weiter. Dank an dieser Stelle an eine alte Freundin, die mir mit diesem Satz den Blick auf alles eröffnet hat, was ich mir ersparen kann.
Entrümpelung ist unglaublich lukrativ. Sie schafft Lebensräume. Jedes Trumm, das ich der Welt zurückgebe, macht mein Leben leichter und vergrößert meine Freiheit. Deal, oder?
Wasser, Wein und Wachstum
Die Idee, sich auf das Nötige zu besinnen, ist jetzt nicht brandneu. Im alten Griechenland waren es Leute wie Epikur und die Stoiker, die ein gutes Leben in Genügsamkeit propagierten. Später übernahmen Religionen wie das Christentum und der Buddhismus die Aufgabe, zumindest Wasser zu predigen. Dass beispielsweise die christlichen Kirchenfürsten ausgesprochen empfindlich auf – durchaus berechtigte – Vorwürfe reagierten, sie würden selbst vorzugsweise Wein trinken, ist ein grausames Kapitel abendländischer Geschichte.
In der Neuzeit, genauer gesagt, Mitte des 19. Jahrhunderts, schlug der Brite John Stuart Mill schließlich einige Pflöcke ein, die heute noch halten. Der Politiker, Ökonom und frühe Feminist setzte der Idee des endlosen Wirtschaftswachstums einen stationären Zustand entgegen. Statt ständiger Steigerung, der rücksichtslosen Ausbeutung von Mensch und Umwelt, der fortschreitenden Ungleichverteilung der Mittel könne eine Gesellschaft in einem stationären Zustand vermehrt Zeit und Ressourcen in Bildung, Kunst und soziale Gerechtigkeit investieren.
Mill brachte früh den Begriff der entfremdeten Arbeit auf, also einer beruflichen Tätigkeit, in der wir als arbeitende Menschen keinen Sinn und Nutzen erkennen. In der Abwendung vom Primat des Wachstums sah er die Chance einer Gesellschaft, die Lebensqualität höher bewertet als Konsum.
In den 1970er-Jahren schließlich formierte sich, auch angestoßen durch den Bericht Die Grenzen des Wachstums des Club of Rome, eine Ökologiebewegung, die in den vergangenen Jahrzehnten an gesellschaftlichem, wirtschaftlichem und politischem Einfluss gewann.
Beschleunigt durch den Klimawandel und die katastrophalen Konsequenzen, die immer deutlicher sichtbar werden, rückt die Idee nachhaltigen Wirtschaftens bis hin zu degrowth-Ansätzen immer mehr in den Fokus unserer Gesellschaften. Der ökologische Fußabdruck beispielsweise ist ein taugliches Mittel, um den eigenen Ressourcenverbrauch in den Blick zu bekommen. Dass das an sich hilfreiche Instrument im Jahr 2004 als Greenwashing-Kampagne von British Petrol mit dem Zweck propagiert wurde, die ökologische Verantwortung des Ölriesen an uns als Individuen zu delegieren, ist eine andere Sache.
Doughnut für alle
Ein letztes – aktuelles Bild zu einer Wirtschaft, die mit Grenzen des Wachstums arbeitet, ist das Modell der Doughnut-Ökonomie der britischen Wirtschaftswissenschafterin Kate Raworth. Die Idee sieht so aus: Von oben gesehen befindet sich zwischen dem inneren und dem äußeren Ring des Doughnuts der Teig. Das Genießbare. Der innere Ring, das soziale Fundament, steht für Mindeststandards für ein menschenwürdiges Leben – Versorgung, Teilhabe, Bildung. Weniger darf nicht sein. Der äußere Ring, die ökologische Decke, steht für den Umgang mit Ressourcen, die Erhaltung von Biodiversität, Strategien gegen das Erreichen von Kipppunkten. Das Ziel ist eine Balance zwischen sozialer Gerechtigkeit und globaler Verantwortung.
Ob wir uns heute in einer Post-Wachstums-Ökonomie befinden? Mag sein, wenn ich mir die Daten der österreichischen Wirtschaft der letzten Jahre ansehe. Aber selbst wenn, dann nicht aufgrund planvoller Wirtschaftspolitik. Deren Ziel ist immer noch Wachstum. Und das Versprechen des Kapitalismus als treibende Wirtschaftsform dahinter ist immer noch individueller Reichtum. Das ist ein bisschen wie beim Lotto. Viele zahlen ein, irgendwer gewinnt.
Den Möglichkeitssinn erweitern
Mit diesem Blog werde ich in längeren und kürzeren Passagen einhegen, was alles genug sein kann. Es wird, wie gesagt, eine sehr persönliche Rundreise, locker in ein stützendes Gerüst verwobene Ideen, Erfahrungen, Vorschläge und Spieße. Letztere als dinghafte Vorbedingung, damit sich etwas spießen kann. Auf dass die glatte Schale des Allzu-Runden Sprünge bekommt, durch die das Licht der Erkenntnis eindringt. Sie nämlich, die Erkenntnis, dieser Mehrwert des Noch-nicht-Gedachten, die Erweiterung des Möglichkeitssinns (Musil schau oba!) ist das übervolle Maß, mit dem uns die Suffizienz zuprostet. Hoch die Tassen, gehen wir’s an!
Hier geht’s zu Infos zu Stefan Peters