Wie fühlt sich eine mentale Vollbremsung an? Ist das Smartphone Opium fürs Volk? Was machst du, wenn du nichts machst? Ein Versuch gegen die Geschwätzigkeit von innen.
Vom Sein und vom Lassen
Es sein lassen. Es. Sie. Die Welt nämlich. Jetzt nehme ich mich einmal ganz fest selbst an der Nase. Wie lange ist es her, dass ich es zuletzt geschafft habe? Dass ich die Welt zur Ruhe kommen habe lassen, oder wenigstens mich darin. Wann habe ich mich zuletzt damit zufriedengegeben, einfach zu sein?
Schauen, und dann nichts
Pass auf, eine Übung. Eine Aufgabe, wenn du willst. Setz dich hin. Egal wo. Am Strand, im Wald, in deinen Lieblingsfauteuil oder meinetwegen in eine U-Bahn-Station. Du hast wahrscheinlich ein Handy eingesteckt, oder ein Buch oder Kramuri in der Tasche. Achtung, jetzt wird’s herausfordernd. Weil du jetzt zwanzig Minuten dem Nichtstun widmest. Zwanzig Minuten, während denen du sitzen bleibst und schaust. Auf das, was dich umgibt. Kein Handy, kein Buch, kein Zeittotschlagwerkzeug, nix. Zwanzig Minuten lang machst du nichts anderes, als auf dich selbst zuzugehen, bei dir anzukommen. Sieh dir die Wellen an, die Bäume, deine vertraute Wohnumgebung, die Menschen und Bahnen, die an dir vorüberziehen.
Mach dir bewusst, dass du für nichts von alledem verantwortlich bist. All das, was du beobachtest, läuft ohne dein Eingreifen genauso gut. Mindestens. Stell dir vielleicht vor, du wärst eine Art Alien, jemand, der durch eine komplizierte Verdrehung von Zeit und Raum plötzlich dort gelandet ist, wo du dich eben gerade befindest.

Ohne Kompetenz, ohne Kenntnis dessen, was hier gilt, ohne die geringste Verbindung zu den Menschen, die hier leben, ohne jegliche Dinge, außer vielleicht der Kleidung, die du gerade trägst. Letzteres stell dir nur vor, wenn du dich damit wohler fühlst.
Im Fluss der Zeit
Das ist, ich weiß es eh, eine wahnsinnig schwierige Übung. Weil es dabei darum geht, all die Reflexe abzufangen, die dich das Handy, dein Buch oder sonstwas zur Hand nehmen lassen wollen. Wir machen das vegetativ, kein Wunder, wir haben es jahrzehntelang geübt. Doch vertrau mir: nach spätestens zwanzig Minuten hört das auf, also der Reflex. Hört auf. Du ergibst dich dem Fluss der Zeit und in deinem Hirn kehrt Windstille ein, oder weißes Rauschen, je nachdem, was dir lieber ist. Und du landest bei dem, was dich im Kern ausmacht, ohne Maschinen, ohne Daweil-einmal-Handlungen, ohne Ablenkungen. Pur, sozusagen.
Purissimo, ohne alles
Vor langer Zeit war ich vorübergehend in so einer alienhaften Situation. Ich stand nach einer Trennung plötzlich allein da, keine Wohnung, all mein Besitz in einer Reisetasche. Zuerst verzweifelt, schockiert, nicht fassend, dass eine Menge vertrauter Menschen und Dinge plötzlich nicht mehr greifbar war, stellte sich schon am nächsten Tag – ich hatte spontan eine ungenutzte Wohnung zur Verfügung gestellt bekommen – ein Gefühl nie gekannter Freiheit ein, eine Leichtigkeit, wie ich sie noch niemals vorher erlebt hatte.
Es war das Gefühl, mein Leben neu beschreiben zu können wie ein weißes Blatt Papier. Wenn ich als Kameramann, als der ich fallweise arbeite, Licht setze, dann bevorzuge ich Low Key. Das heißt, ich beginne mit völliger Dunkelheit, setze dann sehr bedacht, Scheinwerfer um Scheinwerfer, bis gerade genug Licht vorhanden ist, um das Bild zu bekommen, das ich möchte.

Genauso habe ich damals von null weg mein Leben eingerichtet, bei jedem Stück überlegt, ob es nötig ist und mir nützt, ob es mein Leben erleichtert oder beschwert.
Atmen für eine lange Weile
Wenn du das Gefühl hast, dass dir die zwanzig Minuten zu lang werden, versuch Folgendes: Zähle dreißig Atemzüge. Beginne beim ersten Ausatmen mit Eins, atme durch den Mund aus, vertrau darauf, dass sich dein Körper Luft holt, wenn er sie braucht. Atme durch die Nase ein. Zwei. Und so weiter. Der Ehrlichkeit halber kann ich an dieser Stelle zugeben, dass ich meistens einige Versuche brauche. Soll heißen, es ist plötzlich ein Gedanke da, und ich kippe darauf hinein und vergesse mitzuzählen. Oder ich weiß nicht mehr, bei welcher Zahl ich war. Dann beginne ich wieder bei Eins. Woher ich das habe, habe ich vergessen, ist auch egal. Es geht dabei im Wesentlichen darum, all die Zeittotschlag-Routinen zu umgehen, alles außer das Atmen für kurze Zeit beiseite zu stellen. Unlängst habe ich wo gehört, dass es für unsere psychische Gesundheit extrem wichtig ist, dass wir die Kunst wieder erlernen, uns zu langweilen.
Denn dann gehören wir nur uns.
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