21. Oktober 2013
Was ist Effizienz? Und was ist ineffizient? Wie viel Ineffizienz müssen wir uns leisten, wollen wir nicht riskieren, unser Wirtschafts- und Sozialgefüge effizient zu zerstören? Fragen über Fragen.
Ich bin ja ein Baby, ökonomisch gesehen. Obwohl ich im Laufe meines Lebens als Selbstständiger so an die fünfundzwanzig Einkommensteuererklärungen abgegeben habe, fühle ich mich betriebswirtschaftlich unklug.
Vielleicht liegt das auch daran, dass ich die Dinge immer viel zu weit sehe, also kaufmännisch patschert. Weil, ich tu mir schwer mit dem Effizienzbegriff, der während der letzten Wochen wieder einmal weit über Zimmerlautstärke getrommelt wurde.
Angefangen hat damit Frank Stronach, der mit einem „Shoot & Run“-Wahlkampf gezeigt hat, wie Effizienz funktioniert. Shoot: Abgeordnete einkaufen, über die Todesstrafe sinnieren, alles feuern wollen, das nach Funktionär riecht und run: gleich nach der Wahl. Ab in den Flieger und Baba, Habedieehre.
Dann wurde ruchbar, wie steuerschonend der Internet-Gemischtwarenladen Nummer 1, Amazon operiert, während hierzulande die neuesten Zahlen über den kometenhaften Aufschwung der Zeitarbeitsbranche veröffentlicht wurden.
Schließlich geschah einer der wenigen mutigen Auftritte, die das Burgtheater in den letzten Jahren erleben durfte. Den Auftritt lieferte ein Billeteur, der im Rahmen des Theaterjubiläums darauf hinweisen wollte, dass er und seine Kollegen nur ausgelagerte Büttel eines britischen Sicherheitsdienstes sind, der gerade eine dubios verlaufene Ausschreibung zu einem privaten Anhaltegefängnis gewonnen hat. Die Effizienz wurde gefeiert, der Billeteur gefeuert. It’s the economy, stupid!
Die Parole aus der Sicht der Wirtschaft ist klar, schlicht und nachvollziehbar: Gewinne internalisieren, Verluste externalisieren.
Ersteres ist schnell erklärt – auf’s Konto, was geht. So viel wie möglich, so vollständig wie möglich. Zweiteres ist ein bisschen komplizierter. Ein bisschen viel komplizierter. Während die möglichst vollständige Kumulierung von Gewinnen aus Unternehmenssicht idealerweise dort stattfindet, wo die Steuer nichts runterreißt, also am besten Offshore, will der Verlust so breit gestreut sein, dass er nicht so markant ins Auge fällt.
Das ist wie bei einer Partie Schwarzer Peter, wo der, der ihn hat, die böse Karte in kleine Teile zerreißt und jedem der Mitspieler ein Futzel davon unterschiebt. Ein Gewinner, ja, aber die Verlierer sind auf Augenhöhe und keiner beklagt sich, weil über die Arschkarte spricht man nicht. Weil: Ehre.
Es war einmal eine Zeit, da waren Politik und Wirtschaft in unserem Land auf Augenhöhe. Die Wirtschaft hat gute Gewinne gemacht, die Politik auch und jeder war’s zufrieden. Die Politik hat dafür gesorgt, dass unter ihren vielen Angestellten in Verwaltung, Infrastruktur und verstaatlichter Industrie eine ganze Menge Platz war für diejenigen, die in der ganz freien Wirtschaft eher kein Leiberl gerissen hätten. Die nicht ganz so Flotten, die nicht ganz so Vifen, die nicht ganz so Leistungsaffinen. Diejenigen, die aufgrund von Charakter, Weltbild oder aus anderen Gründen nicht ganz so ins Wirtschaftskonzept passten, konnten im Windschatten der staatlichen Betriebe überleben und aufrechten Hauptes ihr Brot verdienen.
Das System vertrug das nicht nur, es erfüllte damit auch eine Kernaufgabe eines Staates, der sich als soziale Struktur versteht, die ihre Daseinsberechtigung unter anderem im Ausgleich oftmals widerstrebender Interessen findet. Diese staatlichen Betriebe warfen mitunter gute Gewinne ab, von denen wir alle etwas hatten, mehr oder weniger. Die, die nicht so gute Gewinne abwarfen, sondern bisweilen querfinanziert werden mussten, erfüllten ihre soziale Aufgabe eben in höherem Maße als die anderen. Was auch nötig war.
Die Privatwirtschaft wiederum machte höhere Gewinne oder ging bankrott, je nach kaufmännischer Fortüne, leistete Beiträge zum sozialen Frieden, indem sie – in geringerem Maße als die Verstaatlichte, aber doch – eine gewisse Vielfalt an Leistung tolerierte. Es war klar, dass der Chef eine gewisse paternalistische Verantwortung innehatte und sie auch wahrnahm. Und auch er finanzierte mit seinen Gewinnsteuern das System, das die ganze Bandbreite an unterschiedlich begabten Menschen in staatsnahen Betrieben und in der Verwaltung leben und einkaufen ließ.
Sozialer Frieden ist schließlich Geld wert, ist bezifferbar, von der Infrastruktur, der Rechtssicherheit über Handelsabkommen bis hin zu einer kaufwilligen und kaufkräftigen Klientel.
Und dann kam die Gier. Findige Finanzberater rechneten aus, was es bringen würde, Firmensitze auf exterritoriales Gebiet zu verlegen und praktische Regelungen wie die Gruppenbesteuerung radikal auszunützen. Schneidige Unternehmensberater marschierten in die Firmen, berechneten jeden Arbeitsplatz nach Investment und Return on Investment und strichen die Stellen zu Hunderten. Die Gewinne explodierten, die Löhne stagnierten, die Arbeitslosenzahlen stiegen immer merklicher.
Die Wirtschaft hatte ihre Verluste an den Staat delegiert, ebenso wie die Sorge um den sozialen Frieden. Erst waren es Einzelne, dann folgten die Massen.
Heute ist die absurde Situation Realität, dass die Wirtschaft den Staat für genau die Malaise kritisiert, in die sie ihn selbst hineinmanövriert, genötigt und, bei Bedarf, erpresst hat. Sie wirft dem Staat vor, nicht wirtschaften zu können. So what! Er muss es nicht, darf es nicht können. Wenn der Staat beginnt, das zu tun, was die Wirtschaft wirtschaften nennt, muss er die Verwaltung auf das unbedingt nötige kaufmännisch berechnete Maß reduzieren. Dann muss er auch noch die letzten kümmerlichen Reste verstaatlichter Wirtschaft, die die vorletzte Regierung beim Ausverkauf übersehen hat, abstoßen und privatisieren. Dann müssen wir alle damit leben, dass wir auf mehr oder weniger einen Schlag eine Verdopplung von Arbeitslosen haben, die keiner anstellen will, weil sie keine Höchstleister sind.
Was das für den sozialen Frieden bedeutet, ist schnell gesagt: Revolution. Was, beiläufig, nicht unbedingt der Boden ist, auf dem Privatwirtschaft zu gedeihen pflegt.
Der Staat als solcher, jeder Staat, hat nicht die Aufgabe, nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien direkt effizient zu sein. Im Gegenteil, er muss sogar systeminhärente Ineffizienz pflegen. Politiker, die fordern, den Staat wie einen Betrieb zu führen, haben das System der res publica nicht verstanden und mögen zu ihren Geschichtsbüchern greifen.
Nicht nur der Generationenvertrag scheint zerschlagen und aufgekündigt, auch der Vertrag zwischen Staat und Markt ist auf dem Altar der Gier geopfert worden und mit ihm die Idee, qua bewusster marktwirtschaftlicher Ineffizienz gesellschaftlichen Mehrwert zu schöpfen.
Was ist effizient? Die Prämien einer Vorstandsetage zu maximieren und eine personell ausgeblutete Bude als schöne Braut aufgeputzt auf den Aktienmarkt zu werfen? In sozialen Frieden und stabile Rahmenbedingungen eines Käufermarktes zu investieren? Volkswirtschaften mit Kreditwetten ins Trudeln zu bringen? Moderate Gewinne, die allemal noch für ein höchst komfortables Leben der Vorstände reichen, mit einer kaufmännischen Kalkulation verbinden, die breiten Wohlstand ermöglicht?
Die Wirtschaft wirft dem Staat vor, all die Arbeitslosen, die sie selbst hervorbringt, nicht aufnehmen und umverteilen zu können und prangert damit einen Missstand an, den sie selbst verursacht. In einem parallelen Luftgeld-Universum der Finanzwirtschaft international verflochten gehen Gewinne auf Weltreisen, ehe sie an den Ufern einer Kanal- oder Südseeinsel stranden. Währenddessen gewinnen bei uns Parteien mit dem Versprechen, im Fall ihres Wahlsieges je nach Couleur den Staat als Betrieb zu behandeln oder die Schotten nach außen dicht zu machen. Natürlich ist es kindisch, in einer global vernetzten Welt mit Begrifflichkeiten wie Außen und Innen hausieren gehen zu wollen.
Ebenso kindisch ist es, anzunehmen, die Wirtschaft würde etwas anderes regeln als die Quartalszahlen ihrer Eigentümer und Shareholder. Sozialer Mehrwert steht nicht auf der Agenda von Vorstandssitzungen. Er ist Sache von Regierungen, die jetzt bitte ihre Arbeit aufnehmen möge, als Korrektiv und nicht als Bittsteller.
Stefan Peters