Der BlaBla-Formulierer – Suffizienz der Worte

Wie intelligent ist die KI? Wie wenig Sinn braucht ein Prompt? In Text ertrinken oder eine Dreiwortstory im Kopf? Suffizienz wider die große Geschwätzigkeit.

Große Sprachmodelle, analog und digital

Vor vielen Jahren sinnierte ein befreundeter Werbetexter über ein Gerät, mit dem er jederzeit ohne jede Anstrengung Werbeslogans erstellen können würde: den BlaBla-Formulierer. Aussehen sollte die Maschine wie ein Aufstellkalender, mit vertikal dreigeteilten Blättern. Auf den jeweils linken Blättern des Formulierers sollten Subjekte stehen, auf den Mittleren Prädikate, auf den rechten Blättern Objekte. Egal, welche Kombination man aufschlug, es würde jedesmal ein sinnvoller Satz dabei entstanden sein.

Das ist fast dreißig Jahre her, der Texter längst nicht mehr unter uns. Seine Idee aber… Heute haben wir Large Language Models, große Sprachmodelle, kurz LLMs, die das tun. Und weil LLM ein bissl zu sehr nach Leck mich mit doppelt geschnalztem Meidlinger L klingt, heißt die Maschine KI – Künstliche Intelligenz, ein Etikettenschwindel von vorne bis hinten. Vierzig Jahre, nachdem in der Musikindustrie die technischen Voraussetzungen für professionelles Sampling & Stealing bereitstanden, hat es nun auch den Rest der schöpferischen Kreativwirtschaft erwischt. Der elektronische BlaBla-Formulierer wird von Diensten wie ChatGPT, Google Gemini oder MS Copilot angeboten und flutet das Netz mit Kompilationen früherer originärer Werke. Dabei entsteht etwas, das sich liest wie eins der Reader’s Digest-Heftln von früher. Nur, dass nicht Reader’s Digest draufsteht.

Also Etikettenschwindel. Womit ich mir schwer tu. So, wie ich mir auch ein bissl schwer tu, wenn wer von meinen Studierenden mit eklektizistisch zusammengeschusterten Selbstoptimierungs-Bauanleitungen à la NLP daherkommt. Die klingen beim ersten schnellen Hinsehen auch toll. Versprechen viel und haben bisher keinen Effektivitätsbeweis geliefert.

Ein Aufstellkalender, der drei vertikal geteilte Blätter zeigt, mit der Aufschrift Alles ist gut
Der BlaBla-Formulierer hat immer recht, sinngemäß.

Prompt Engineering: Trash in – Trash out

Doch zurück zum BlaBla aus der Chatkiste. Der Formulierer ist an sich richtig cool. Du sagst ihm, was du möchtest, beispielsweise: „Schreibe als Profi-Blogger einen Beitrag mit dem Titel: ‚Die fünf angesagtesten Geheim-Badeplätze an der Wiener Donauinsel‘“. Sag der KI, dass du einen Text mit dreihundert Wörtern möchtest, außerdem soll sie einen Vorspann und ein paar verlockende Zwischentitel schreiben, das Ganze im Stil von Hunter S. Thompsons Gonzo-Journalismus (ja, das war der Typ mit Fear and Loathing in Las Vegas, sehr abgefahren verfilmt mit Johnny Depp). Oder sag lieber, dass du 333 Wörter willst. Die KI bescheißt gern, was das betrifft.

Was auch immer du bestellst: Du bekommst innerhalb weniger Sekunden etwas, das wie eine fixfertige, gut recherchierte, tatsächlich gonzomäßig formulierte Geschichte klingt. Flockig vom Leder gezogen, knapp, bildhaft, shiny happy people mit einem Hauch Anarchie (hier das pdf). Was die Top 5-Reihung betrifft, handelt es sich um ein sogenanntes Listicle, eine Kreuzung aus Liste und Article. Etwas, das den Leuten suggeriert, dass knappe ein bis zwei Minuten Lesezeit ausreichen, um sich zu einem Thema X ausreichendes Überblickswissen anzueignen, um bei Bedarf mitreden zu können. So sind wir, auf sowas springen wir an. Kein Mensch interessiert sich für die mittleren neunzig Prozent. Top sells, Flop ebenso. Versuch’s einmal mit den fünf hässlichsten Hotels deiner Stadt.

Lorem Ipsum 2.0

Erst auf den zweiten Blick offenbart sich, dass du von der KI eine Art getarnten Fülltext in bestellter Länge bekommst. Eine Ladung Geschwätzigkeit ist es, die große Schwester von Lorem Ipsum. Sicher, du könntest jetzt sagen, dass der oben lässig hingeworfene Prompt, also die Vorgabe an die KI, noch mächtig Luft nach oben hat. Was soll das überhaupt heißen: angesagteste Geheim-Badeplätze? Ein Widerspruch in sich. Egal. Nicht für die KI. Wenn du der sagst, dass du ein Perpetuum Mobile entwerfen möchtest und gerne Tipps hättest, sagt dir die KI, dass das ein faszinierender Gedanke ist. Und nicht, dass du Physik-Ignorant dich vielleicht einmal mit Thermodynamik auseinandersetzen solltest. Denn das ist das Geschäftsmodell der KI: eine Befüllung unserer Welt mit Geschwätzigkeit. Ein BlaBla-Formulierer, der dir immer recht gibt. Der immer freundlich bleibt, dich einseift mit seinem „eine faszinierende Idee“-Gesülze, ganz gleich, welchen Hirn-Bypass-Prompt du auch immer eingibst.

More of the same rubbish

Noch ein Ding, das mir die KI, vorsichtig gesprochen, suspekt macht: sie will sich nicht irren. Deshalb halluziniert sie, wenn sie etwas gefragt wird, das sie nicht weiß. Das hat was vom Dogma der Unfehlbarkeit. Frag den Papst, was er von den Katharern hält. Oder spar dir die Frage, wo doch das Ergebnis vorhersehbar ist. Ich vermute, dass dahinter die Weltsicht der Programmierer aufpoppt, die ihnen verbietet, irgendwas nicht zu wissen. Um wieviel freundlicher wäre diese Welt, gäbe es viel mehr Menschen, die an passender Stelle sagen: Ich weiß es nicht. Wenn dir die Frage wirklich wichtig ist, geh und such eine Antwort. Oder zwei. Das ist möglicher Weise genau der Punkt, wo sich die Frage erübrigt. Weil’s nicht wichtig war. Und wieder einmal ist der Rest Schweigen. Ungesagte Wörter. Weil es sie nicht braucht. Suffizienz.

So viele Wörter, so wenige

Von dreihundert Wörtern als purer Mengenvorgabe war oben die Rede. Das ist die Zahl, die die SEO-Software Yoast SEO als optimale Menge vorschlägt. Das ist eine ganze Menge, überhaupt, wenn du sie selbst schreibst. Wie sieht es aber mit dem Gegenteil aus? Wie wenige Wörter sind nötig, um im Sinne angewandter Suffizienz eine ganze Geschichte zu erzählen?

Es gibt da eine Geschichte, die Ernest Hemingway zugeschrieben wird. Fälschlich, wie so viel Zitables. Macht aber nix. Weil gute Geschichte. Und die geht so: In geselliger Runde soll der Autor einmal gesagt haben: Eine gute Geschichte zu erzählen, das ist ganz einfach. Ich schaffe es in drei Worten – Kinderschuhe abzugeben, ungetragen. Traurige Geschichte, oder?

Ein Bildausschnitt einer mechanischen Schreibmaschine Typ Hermes Baby, darin ein eingespanntes Blatt, auf das die Worte Kinderschuhe abzugeben ungetragen getippt sind
Hackproof Device, eine Einladung zur Suffizienz der Worte

Wenn es auf dieser Welt Erzählsuffizienz gibt: Voilà, da ist sie! Das sind Dinge, die der elektrische BlaBla-Formulierer nicht schafft. Warum? Weil die KI eben nicht intelligent ist, weil sie keine Kreativleistung schafft. Weil sie bloß sammelt und kompiliert, dabei aber nicht reflektiert und erst recht nichts Neues erschafft.

Übrigens: Dieser Text enthält 988 Wörter. Ganz schön viel. Ich greife – sinngemäß – zu Konrad Adenauer: Was schert mich mein Geschwätz von vor dreißig Zeilen!

Hier geht’s zu Infos zu Stefan Peters

Startseite » Der BlaBla-Formulierer – Suffizienz der Worte
Teilen

Schreibe einen Kommentar