Das Fahrrad – Die Suffizienz-Supermaschine

Wie schaffen es zwei Räder, sinnig mit Blechrohren verbunden, uns in den Städten jeden Tag an den Rand eines Glaubenskrieges zu bringen? Wenn es um unsere Fortbewegung geht, ist Schluss mit Lustig. Über Verteilungskonflikte und die Ideologisierung des Alltäglichen. Triggerwarnung: Es könnte kontrovers werden.

Von Sonderl- und Lemmingen

Schnell in die Tasten gehauen, fällt mir keine andere Maschine ein, die einen Menschen so emissionsarm, platzsparend und rasch von einem Ort zum anderen befördern kann wie ein Fahrrad. Na gut: Wären wir in Finnland, Schweden oder Kanada, müsste sich das Rad seinen Stockerlplatz mit dem Segelboot teilen. In einer Stadt aber, die jetzt weder Amsterdam noch Venedig heißt, bringt mich das Boot nur in wenigen Situationen ans Ziel. Also Fahrrad.

Vor sehr langer Zeit war’s ein Fortbewegungsmittel der Arbeiter*innen, dann Statussymbol von Intellektuellen, später Sportgerät und Statement der Sonderl- und Lemmingen auf Hauptstraßen. Heute ist das Rad das Verkehrsmittel einer urbanen Klientel, die sich nur noch schwer nach Alter, Geschlecht, Weltbild oder Ethnie ausdiffenzieren lässt. Ob Hollandrad, Rennmaschine mit Aggro-Rassel im Zahnkranzl, E-Bike oder Klapp-, Lasten- und Großfamilientransportrad: In den Städten wächst der Anteil am pedalisierten Individualverkehr. Was suffizienzmäßig wahrscheinlich der vernünftigste Weg ist, den Stadtplanung in Sachen Verkehr einschlagen kann.

Alle gegen alle mit allem

Jetzt sind Vernunft und Lust oft ziemlich entfernte Verwandte, vorsichtig gesprochen. Wäre es anders, würden wir über Kriege, Klimawandel und soziale Gerechtigkeit schon lange kein Wort mehr verlieren müssen. So aber. So aber tobt ein vernunftferner Verteilungkonflikt durch unsere Städte. Der lautet in etwa: Autos gegen Fußgänger*innen gegen Fahrräder gegen öffentliche Verkehrsmittel gegen Scooter, breite Gehsteige, Bäume und was weiß ich für öffentliche Flächen. Die uns allen gehören. Was den Konfliktboden bereitet und täglich düngt. Befeuert von Partikularinteressen politischer Parteien und gestützt von mehr oder weniger hanebüchenen Verschwörungserzählungen lesen sich Postingstrecken wie ein Nest voller krakeelender Jungvögel, die gierig ihre Schnäbel aufsperren, darauf hoffend, dass der fetteste Wurm bei ihnen landet und alle anderen leer ausgehen. Neiddebatte, wie man sagt.

Okay, ich habe ein Auto. Und ein Fahrrad. Und eine Jahreskarte für die Wiener Linien. Und Schuhe, mehrere Paare sogar. Obwohl ich ein Mann bin. Ja, ich benütze das alles. Das Auto, wenn ich Möbel transportiere oder auf Reisen gehe (mehr dazu in einem späteren Kapitel). Die öffentlichen Verkehrsmittel, wenn es regnet oder wenn ich mit anderen Menschen unterwegs bin. Zu Fuß gehe ich, wenn ich wandere oder mein Weg sehr kurz ist.

Die Suffizienz-Supermaschine

Für alles andere fällt mir nix Gscheiteres ein als die Suffizienz-Supermaschine Fahrrad. Das ist in meinem Fall fast fünfundzwanzig Jahre alt, geerbt vom Papa, ein braves Trekkingbike, nichts Besonderes. Außer natürlich, dass es – und jetzt verlasse ich den grau gepflasterten Pfad der Vernunft – eine ganze Menge Verheißungen ausspielt. Wenn ich in der Früh in die Arbeit fahre, biege ich noch schnell auf dem Weg von der Reichsbrücke auf die Donauinsel ab und springe dort kurz ins Wasser.

Ein Fahrrad steht auf einer schwimmenden Plattform auf der Wiener Neuen Donau, dahinter die Donaucity
Fahrrad auf Plattform auf Neuer Donau, dahinter winkt schon der Arbeitsplatz ins Bild. Nicht im Bild: der frischgewaschene Autor dieser Zeilen. Und das ist gut so.

Danach komme ich mit gut durchlüftetem Hirn und frisch gewaschen an und trete meinen Studierenden energetisch hochwertig entgegen. Auf dem Heimweg – bergauf nach Westen mit Gegenwind – tu ich meiner Kondition Gutes. Und ich nehme die Freiheit des Radfahrens am Gegensatz wahr. Dann, wenn ich an einer langen, stehenden Autokolonne vorbeifahre, in die Austos hineinsehe und mich frage, warum in den meisten Wagen bloß ein einziger Mensch sitzt. Haben die alle Corona und sind in Quarantäne? Haben die eine Wette verloren? Man weiß es nicht. Ich lenke das Rad um Menschengruppen herum, die aus den U-Bahn-Stationen strömen. Mache einen Zwischenstopp bei einer roten Ampel. Biege dann bei Rot gegen eine Einbahnstraße ab. Beides darf ich, nicht überall, aber oft. Ein Gipfeltreffen von Effizienz – kürzeste Strecke – und Suffizienz – geringstnötiger Einsatz der Mittel. Außerdem weiß jedes Kind, dass Radfahren wahnsinnig sexy ist. Kannst du einordnen, wo du willst. Vielleicht bei Exzellenz, ein Exoten-Enz (siehe auch die drei Enzen).

Straßen ziehen Verkehr an

A propos Effizienz: Eine Autospur entspricht, was den Platzbedarf betrifft, drei bis vier Fahrradspuren. Soll heißen, auch ein Fahrradweg ist eine Straße. Und Straßen ziehen bekanntlich Verkehr an, eine alte, unzählige Male bewiesene Gesetzmäßigkeit der Verkehrsflächen. Wenn wir uns also Gedanken über die Erweitungspotenziale an städtischen Verkehrsströmen machen, kommen wir am Ausbau von Fahrradwegen nicht vorbei.

Auf der anderen Seite fällt mir das Autofahren in Wien noch immer viel zu leicht. Wenn das Wünschen hilft, dann wünsche ich mir eine Art Kontigentierung, die mir erlaubt, jeden Monat, sagen wir, fünfzig Freikilometer für private Fahrten zu haben. Darüber hinaus zahle ich für jeden gefahrenen Autokilometer eine Summe, die hoch genug ist, um noch einmal darüber nachzudenken, ob ich die größte und gleichzeitig für den Zweck am wenigsten geeignete Maschine für diese Fahrt in Gang setze.

Ein guter Deal

Weil manche gern und laut über Kennzeichen für Fahrräder nachdenken: Zuletzt gab es das in der Zeit des Austrofaschismus . Heute halten sogar Autofahrer*innen-Clubs solche Dinge für unsinnig und unadministrierbar. Bei allen Argumenten, die dafür sprechen (eigentlich nur eins, die Verfolgbarkeit von Verkehrsdelikten), sieht es aus, als würden Fahrräder auch weiterhin frei von Registrierungs-, Steuer- und Versicherungspflicht bleiben. Weil ja auch Autokennzeichen eher nicht für Wohlverhalten am Volant geführt haben. Was bedeutet, dass das Fahrrad, wenn es herumsteht, zwar ein Versprechen ist, aber keins, das extra kostet, weder viel Platz noch laufende Abgaben. Es ist eben nicht viel dran an den zwei durch Metallrohre sinnig verbundenen Rädern. Wenig Material, wenig Technik, wenig Emission, viel Freiheit. Ein guter Deal, wie der GRÖDAZ, der größte Dealer aller Zeiten, gern sagt (dass ich mit dem Orangenen in Washington einmal einig bin, hätte ich nie gedacht, und sei’s nur die Wortwahl).

Indem du auf das Fahrrad (um-)steigst, rettest du nicht die Welt auf einmal, das ist richtig. Doch du trägst was dazu bei. Auch das ist richtig. Zu wenig, klein, zu unerheblich. Sagen manche. Hast du gewusst, das aus einem sechs Millimeter großen Samen bei guter Führung ein über hundert Meter großer Mammutbaum wird?

Weißt du, was das Tollste ist? Du brauchst nicht einmal an Dinge wie Schwerkraft, Klimawandel und komplexe Verkehrssysteme glauben. Denn alle drei glauben an dich. Mit Suffizienz im Hinterkopf gestaltest du mit. Okay, außer bei der Schwerkraft. Ohne Suffizienz stehst du nicht nur im Stau. Du bist der Stau. Entscheide selbst.

Hier geht’s zu Infos zu Stefan Peters

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