Was ist so super am Food? Warum hat es noch einen längeren Anfahrtsweg als mein Installateur? Wie stellen wir uns Nicht-so-Superfood vor? Und warum muss jede Saison ein neues Superfood ran? Von hochgejazzten Beeren und anderen Wundern mit Exotik-Appeal.
Der Wert der Gesundheit
Okay, es gibt Nahrungsmittel, die sind für uns Menschen gesünder als andere. Sagen wir, Haferschleim gegen Nutella. Gut, Werbung geht anders. Und schon sind wir am Punkt. Die Werbung nämlich.
Superfood hat in erster Linie nix mit Wissenschaft zu tun, sondern nur mit Marketing. Soll heißen, dass in den Supermarktregalen (schon wieder was mit Super, da muss ein Nest sein!) jede Menge Beeren, Nüsse, Algen & Co. mit Gesundheitsversprechen locken. Gesundheit, das sollte uns was wert sein. Nämlich Kilopreise, wenn wir genau schauen, die schon einmal ins Dreistellige reichen.
Natur pur
Der Wucher ist kein Wunder. Das Superzeugs kommt schließlich aus dem unwegsamen venezolanischen Dschungel oder wird an einem einzigen naturbelassenen japanischen Strand angeschwemmt. Oder kleine Kinder (die natürlich fair bezahlt und in die Schule geschickt werden) klettern auf hohe zentralafrikanische Bäume, um spezielle Blüten zu pflücken.
Wir kaufen bekanntlich jede Story, solange sie nur gut genug erzählt ist. Das Gesundheitsversprechen dahinter geht ungefähr so: Kauf dieses oder jenes Superfood, dann werden Flavonoide, Antioxydantien, Vitamine, Enzyme, Omega 3-Fette und was weiß ich dir ein langes, gesundes Leben, Fitness und Schutz vor eh allen Zivilisationskrankheiten bescheren.
Weil das Zeugs aus der Natur kommt. Und das – naturgemäß geheime – Wissen darum von indigenen Völkern stammt, die sich damit ihre edle Wildheit bewahren, oder was auch immer uns die Werbung da verständlich machen will. Wie ich Zivilisationskrankheiten ausgerechnet mit Lebensmitteln bekämpfen will, die aus Gegenden kommen, in denen lebensstilbedingt Zivilisationskrankheiten kaum bekannt sind, ist mir ja schleierhaft. Aber bekanntlich ist es einfacher, einen ganzen Einkaufswagen mit Superfood zu befüllen, das mich angeblich schlanker und gesünder macht, als jeden Tag meinen Schrittzähler auf mindestens Zehntausend zu bringen.
Eine Beere auf Weltreise
Suffizienzmäßig gedacht, setze ich mit meiner Entscheidung, beim Supermarkt-Aufsteller mit dem Schild Superfood (im Kassenbereich, wo sonst?) zuzuschlagen, eine gewaltige Maschine in Bewegung. Ich sorge mit dem Kauf einer Packung von, sagen wir, Goji-Beeren dafür, dass die Früchte aus dem chinesischen Ningxia (wo sie meist herkommen) einen Transportweg von zwischen 7.000 und 11.000 Kilometern hinter sich haben, bis sie bei uns im Regal liegen.

Die Beeren sind dicht bepackt mit gesunden Nährstoffen, das stimmt. Mit Stoffen, die unter anderem entzündungshemmend wirken und sich günstig auf den Blutdruck auswirken. Außerdem enthalten sie knapp fünfzig Prozent Zucker, für den Fall, dass wer zunehmen mag.
Die Hecke um die Ecke
Würde ich den Fruchtzucker herausrechnen, zahle ich für einen weitgereisten Kilo saftige zwanzig Euro. Nicht schlecht, oder? Dafür kaufe ich neben den Gewinnmargen etlicher Zwischenhändler und einer feinen Würze an Schwermetallen Inhaltsstoffe, die ich, wenn ich Lust habe, daheim bei einem Herbstspaziergang selbst pflücken kann. Die Rede ist von Hagebutten, die seit Jahrtausenden hier heimisch sind, ebenso wie Aroniabeeren, die aus den USA kommen und seit der Jahrtausendwende in Österreich angebaut werden. Vergleichbare gesundheitsrelevante Inhaltsstoffe, weniger Zucker, halber Preis im Geschäft, kurze Transportwege, anständige Arbeitsbedingungen für die Menschen, die dafür arbeiten. Dafür eben kein Exotikfaktor. Und marketingmäßig ganz schlecht, weil‘s überall wild wächst.
Wer einmal heidelt
Ob das umgekehrt auch so ist? Ich wette, in Neuseeland verkaufen sie österreichische Heidelbeeren um eine Fantastillion pro Kilo als Superfood. Weil auch die sowas von super sind. Geh im Sommer in den Nadelwald, nimm ein Tuppergschirrl mit oder ein Joghurtküberl und mach dir im Heidelbeergestrüpp Finger und Zunge tüchtig blau.

Nicht nur, dass du spätestens nach zwanzigminütigem Waldbad unvermeidlich tiefenentspannt bist. Du sammelst mit Waldheidelbeeren einen Mix aus massiv viel Antioxidantien für deinen Zellschutz und wirksamen Inhalten für Blutdruck, Gedächtnis, Darm und Augen, außerdem sind die Dinger mordsaromatisch. Kein Vergleich mit der Mutantenvariante aus den Supermärkten, die noch dazu sehr viel wirkstoffärmer ist. Wenn du länger was davon haben willst, kannst du sie dörren, einfrieren oder einkochen.
Suffizienz = Zweck minus Aufwand
Was das alles mit Suffizienz zu tun hat? Ganz einfach. Wenn ich mir den gesamten Aufwand ansehe, den es braucht, bis ich den Zweck – hochwirksam gesunde Lebensmittel zu haben – erziele: Welchen ökologischen, ökonomischen, sozialen und energetischen Einsatz braucht es? Welche in allen Belangen günstigere Alternativen stehen mir zur Verfügung? Wie wenig Aufwand reicht aus, um mir Gutes zu tun?
Wenn in einer ägyptischen Grabkammer eine alte Sorte Getreide gefunden und zum Keimen gebracht wird, und sich zeigt, dass das in der Vollkornversion viele Ballaststoffe hat, dann ist das natürlich eine geniale Marketingstory. Wenn wir einmal ausblenden, dass jedes beliebige Getreide natürlicherweise einen hohen Ballaststoffanteil hat, ist’s ein tolles Gefühl, sich zu ernähren wie die alten Ägypter. Tutenchamun sells.
Weil sich aber jede Neuigkeit schnell abnützt, muss eben jede Saison ein neues Superfood ran. Wenn die Geschichte gut erzählt wird (auf Vulkangestein geriebene Alge von der japanischen Insel der Hundertjährigen oder so), kann ich dafür verlangen, was ich lustig bin.
Hier geht’s zu Infos zu Stefan Peters